Studiennummer: ZA 8554
Studientitel: Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert, 1816 - 1900
Erhebungs- bzw. Untersuchungszeitraum: 1819 - 1914
Primärforscher: Gehrmann, Rolf
Veröffentlichung (gedruckte Veröffentlichung): Rolf Gehrmann (2011), Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jg. 36, Heft 4, S. 807-838.
Empfohlene Zitation (Datensatz):
Gehrmann, Rolf, (2011 [2013]) Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert, 1816 - 1900
Daten entnommen aus:
GESIS Datenarchiv, Köln. histat.
Studiennummer 8554
Datenfile Version 1.0.0
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Studienbeschreibung:
Gegenstand der Studie:
„ Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Deutschland ist bisher für das 19. Jahrhundert insgesamt nur mangelhaft und für den Zeitraum vor 1871 lediglich kleinräumig dokumentiert. Mit der Aufbereitung der von den Behörden der damaligen deutschen Staaten zusammengestellten Zahlen wird hier zunächst eine neue statistische Grundlage geschaffen. Die rekonstruierte nationale Zahlenreihe (ab 1826) belegt eine vergleichsweise hohe Säuglingssterblichkeit mit geringen Fortschritten bis zur Wende des 20. Jahrhunderts. Der Einfluss der Faktoren Urbanisierung und Industrialisierung wird nicht bestritten, die Auswertung der unterschiedlichen regionalen Muster und Entwicklungstrends führt aber zu einer neuen Gewichtung. Demnach waren die Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf dem Lande von erheblicher Bedeutung. Die Logik des Zusammenhangs von Fertilität und Säuglingssterblichkeit wird für die Epoche des nachhaltigen Fertilitätsrückgangs anders eingeschätzt als für die vorausgehende. Insgesamt werden die vorherrschenden Gewohnheiten und Einstellungen als ausschlaggebend für die Überlebenschancen von Kleinkindern angesehen. Deshalb wird der Blick auf die aufgeklärte Öffentlichkeit und auf die Behörden gelenkt. Bemühungen dieser Kreise um einen Wandel waren insbesondere im Südwesten zu verzeichnen, wo angesichts der teilweise dramatischen Verhältnisse relativ früh ein Problembewusstsein entstand. Zu einer abschließenden Bewertung dieser Vorgänge bedarf es weiterer historischer Forschungen auf regionaler Ebene.“ (Gehrmann 2011, S. 807)
Daten und Datenaufbereitung, Quellenproblematik:
„Die föderale Struktur des Kaiserreichs hatte (…) zur Folge, dass die gedruckte Statistik zur Säuglingssterblichkeit vor 1901 lückenhaft blieb. Mehr noch: es wurden offensichtlich in einigen Staaten diesbezügliche Angaben gar nicht oder zumindest nicht von Anfang an bei den Standesämtern abgefragt. Als das Kaiserliche Statistische Amt in den 1880er Jahren die erste Sterbetafel für das Deutsche Reich erstellen wollte, musste es deshalb konstatieren, dass in den Einzelstaaten „fast alle in der Statistik überhaupt üblichen Arten und Grade der Spezialisierung vertreten“ (Kaiserliches Statistisches Amt 1887: 21) waren, aus manchen aber trotzdem keine geeigneten Unterlagen beschafft werden konnten. Immerhin repräsentierte die Sterbetafel am Ende doch 96,8% der Reichsbevölkerung im Jahre 1885 und 97,3% der Lebendgeborenen 1872 bis 1880. Damit ist auch die jährliche Säuglingssterblichkeitsrate ab 1872 bekannt. (…) Mit Hilfe des Sterbetafel-Materials kann die statistische Reihe aus „Bevölkerung und Wirtschaft“ also um fast 30 Jahre nach hinten verlängert werden. (…) Komplizierter stellt sich die Sachlage für weiter zurückliegende Zeitabschnitte dar. „ (S. 812-813)
Obwohl in fast allen deutschen Staaten statistische Erhebungen über die Bevölkerungsbewegung vorliegen, unterscheiden sich die Statistiken in ihrer Qualität erheblich. Während z.B. in Preußen schon in den frühen Statistiken Angaben zur Säuglingssterblichkeit zu finden sind, weisen andere deutsche Staaten (Sachsen-Coburg-Gotha, Mecklenburg-Strelitz, Waldeck, Lippe, Schaumburg-Lippe) nur rudimentäre Statistiken auf.
„Das Bezugsgebiet der Untersuchung ist das Deutsche Reich in den Grenzen von 1914 ohne Elsass-Lothringen. Statistisch sind das 32 Gebietseinheiten, da Hannover, das Kurfürstentum Hessen, Frankfurt, Homburg, Nassau und Schleswig-Holstein-Lauenburg historisch von Preußen zu trennen sind. Weiterhin haben die Landesteile Coburg und Gotha, die zum Land Sachsen-Coburg-Gotha gehören, unterschiedliche statistische Systeme. Für diese 32 Gebietseinheiten ermittelt der Autor die Säuglingssterblichkeit, die im internationalen Vergleich als die deutsche Säuglingssterblichkeit einbezogen werden kann, also eine repräsentative Größe darstellt.“ (S. 813)
Eine einfache Hochrechnung möchte der Autor zunächst aufgrund der qualitativen Differenzen der frühen Statistiken nicht durchführen. Insbesondere würden bei diesem Vorgehen die Werte der nicht dokumentierten Gebiete den Werten der anderen Gebiete gleichgesetzt. Da Preußen die Hälfte des Untersuchungsgebietes repräsentiert und schon sein 1816 über eine sehr gute Statistik verfügt, werden somit ca. 50% des Reichsgebietes statistisch nachgewiesen. Nach dem Deutschen Krieg (oder Preußisch-Deutscher Krieg) von 1866 vergrößerte Preußen sein Gebiet, so daß seine statistischen Werte nahe den Werten des Reichs liegen. (S. 814). Der Autor hat geprüft, ob auch die Preußischen Werte zu Geburten und zur Säuglingssterblichkeit auch vor 1866 nahe den Werten des Deutschen Reichs liegen. Dabei weist er noch einmal darauf hin, dass „Schon allein wegen der großen regionalen Unterschiede (…) die preußischen Werte bzw. ein davon dominierter Datensatz nicht einfach hochgerechnet werden (sollte).“
Sein Vorgehen ist daher wie folgt:
„Vielmehr empfiehlt es sich, zunächst in kleinen Schritten für die einzelnen Territorien fehlende Werte durch wahrscheinliche zu ersetzen. Diese ergeben sich in erster Linie aus dem Vergleich der Säuglingssterblichkeitswerte benachbarter Gebiete zu anderen Zeitpunkten. So können für Württemberg die vor 1859 zu längeren Zeiträumen zusammengefassten Informationen auf Einzeljahre herunter gerechnet werden, indem die Verteilung über die Jahre wie in Bayern angenommen wird. … Alle ermittelten Werte beziehen sich auf Lebendgeborene.“ Hierbei stellt sich bei den Quellen eine begriffliche Abgrenzungsproblematik. Die Geburten wurden in den frühen Statistiken hauptsächlich in Kirchenbüchern festgehalten. Bei der Erhebung der Anzahl der Geborenen, Gestorbenen und Totgeburten kommt es insbesondere in katholischen Gebieten zu begrifflichen Abweichungen. Totgeburten wurden getrennt ausgewiesen, aber nicht immer korrekt registriert. Häufig wurden Totgeborene nicht – wie es richtig gewesen wäre – auch als Totgeburt registriert, sondern stattdessen als Lebendgeborene, die am Tag der Geburt verstorben sind. Die scheinbare Totgeburtenrate ist also in diesen Gebieten zu niedrig und die scheinbare Säuglingssterblichkeit ist etwas zu hoch. (S. 814)
„In historischen Untersuchungen …, denen das Originalmaterial aus den Kirchenbüchern zugrunde liegt, wird wegen der konfessionell unterschiedlich gehandhabten Unterscheidung zwischen Totgeburten einerseits und am Tage der Geburt gestorbenen Lebendgeborenen andererseits auch mit einem Trennfaktor gearbeitet, der auf der Annahme beruht, dass seinerzeit überall ein ähnlicher Anteil (ungefähr ¼ ) der insgesamt am Tage der Geburt als verstorben registrierten Kinder Totgeburten waren.“ Analog zu der von Imhof angewendeten Vorgehensweise versucht auch der Autor, die tatsächlichen Totgeburten für die statistisch ungenauer dokumentierten Gebiete zu schätzen. (S. 815)
Ergebnis der Schätzung:
„Die komplexe Prozedur der Ergänzung fehlender Daten führt für den Zeitraum 1828-1871 nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen als die einfache Addition der Zahlen aus den Quellen. Pro Jahr beträgt die Differenz zwischen beiden Reihen nicht mehr als 0,9 Prozentpunkte, was im Verhältnis zur damaligen Höhe der Säuglingssterblichkeit als eine nur geringfügige Abweichung bezeichnet werden kann. Die nicht ermittelbaren hundertprozentig vollständigen Werte können keine signifikant anderen sein, denn selbst unerwartete, extreme und punktuelle Ausschläge in einzelnen Staaten mit fehlenden Daten können realistischerweise nicht als so groß angenommen werden, dass si einen hinreichenden Einfluss auf die Gesamtwerte ausüben könnten. (…) Damit existiert eine tragfähige Grundlage für die Einschätzung der Gesamtentwicklung.“ (S. 817)
Diskussion:
Die Analyse der Geburtenreihen weist darauf hin, dass klimatische Bedingungen weniger ausschlaggeben für die Sterblichkeitsraten im Säuglingsalter sind. Von größerer Bedeutung sind soziale Faktoren, wie z.B. die Arbeitsbelastung der Frauen, wobei der Autor darauf hinweist, dass vieles an Konkretisierungsarbeit zu leisten wäre. „Es muß besonders untersucht werden, wie die Aufteilung der Aufgaben auf dem Lande vorgenommen wurde. Zudem sollte den eingangs erwähnten Hinweisen Wiegelmanns nachgegangen werden, der eine in dieser Hinsicht günstigere Stellung des Ostseeraums seit dem Mittelalter erwähnt. „
Datentabellen in HISTAT (Thema: Bevölkerung):
A. Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich: Vervollständigung durch Berechnung und Repräsentativität der Daten
A.01 Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich zwischen 1818 bis 1871 – Repräsentativität der Zahlen
A.02 Säuglingssterblichkeit in Deutschland - Rohdaten, Sterbetafeln und ergänzte Daten, 1826 bis 1866
B. Lebendgeborene und Säuglingssterbefälle in den Staaten und Hansestädten des Deutschen Reichs
B.01 Lebendgeborene in den größeren Staaten und Hansestädten, 1819-1900
B.02 Säuglingssterbefälle in den größeren Staaten und Hansestädten, 1819-1900
Untersuchungsgebiet:
Deutsches Reich in den Grenzen von 1914, ohne Elsass-Lothringen
Die Deutschen Staaten
Quellentypen:
Kirchenbücher, amtliche Statistiken
Verwendete Quellen (ausführliches Verzeichnis):
Siehe PDF-Dokument
Anmerkungen:
Siehe PDF-Dokument
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Sachliche Untergliederung der Datentabellen:
A. Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich: Vervollständigung durch Berechnung und Repräsentativität der Daten
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B.01 Lebendgeborene in den größeren Staaten und Hansestädten, 1819-1900
B.02 Säuglingssterbefälle in den größeren Staaten und Hansestädten, 1819-1900
Datum der Archivierung: Februar, 2013
Jahr der Online-Publikation: 2011
Bearbeiter in GESIS: Kunze, Larissa / Franzmann, Gabriele
Version:Version 1.0.0
Zugangsklasse: A
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